Beinschnitzerwerkstatt im Römerkastell Saalburg

Beinschnitzerwerkstatt im Römerkastell Saalburg

Pressemitteilung
Römerkastell Saalburg, den 2. Juni 2014

Neu im Römerkastell Saalburg: Garküche und Werkstätten nach römischem Vorbild

Das Römerkastell Saalburg in Bad Homburg kann ab 4. Juni 2014 mit einer neuen Attraktion in seiner Dauerausstellung aufwarten. Es sind Bereiche, die nach römischem Vorbild gestaltet sind: eine Garküche, eine Schuhmacher- und eine Beinschnitzerwerkstatt, in der Knochen und Geweih verarbeitet wird.
Nachbauten der Einrichtung, Rekonstruktionen der Geräte und Werkzeuge, Originalfunde, Informationstafeln und Videos – sie alle vermitteln ein lebendiges Bild vom Aussehen der Räume und der Arbeitsweise der Handwerker und der Köche.
Wie sah es Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. in einer römischen Garküche, Schuhmacher- und Beinschnitzerwerkstatt in einer Siedlung nördlich der Alpen aus? Diese Frage können die Besucher der Saalburg jetzt beantworten, wenn sie die neuen Bereiche besichtigen, deren Einrichtung durch die tatkräftige Unterstützung des Fördervereins Saalburg e.V. und engagierter Sponsoren ermöglicht wurde.

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Auf einen Blick

In der Beinschnitzerwerkstatt entdecken die Besucher die Drechselbank auf dem Werktisch und den Hackklotz für das Spalten der Knochen. Beim Schuhmacher erkennen sie den Amboss, auf dem die Schuhsohlen mit Nägeln beschlagen werden und den imposanten Schrank, in dem der Handwerker seine Schuhkollektion präsentiert. In der Küche fallen die gemauerte Herdstelle und die Theke, über die das Essen verkauft wird, ins Auge.
In Benutzung: Arbeitsabläufe
Einrichtung, Gerätschaften, Werkzeuge und alle anderen Gegenstände sind nicht als dekorative Elemente gedacht. Sie sind vielmehr so angeordnet, dass man erkennen kann, wie dort gearbeitet wird: Da entsteht aus einem groben Knochen eine filigrane Haarnadel, ein geschlossener Schuh wird aus mehreren Lederteilen gefertigt und die Zutaten deuten auf die Gerichte hin, die gerade gekocht werden.
Die Räume sind so gestaltet, als ob sie in Benutzung wären. Nur die Handwerker und Köche sind nicht anwesend. Sie haben alles stehen und liegen gelassen, um für kurze Zeit außerhalb etwas zu erledigen.

Videos in den Werkstätten

Die Werkstätten und die Garküche laden dazu ein, mit den Augen auf Entdeckung zu gehen, sich auf Einzelheiten einzulassen und die Arbeitsabläufe zu ergründen. Eine gute Ergänzung stellen in diesem Zusammenhang die Videos in den Werkstätten dar. Mit ihrer Hilfe kann man den Handwerkern über die Schulter schauen. Und diese anschauliche Ergänzung ist nicht nur für Besucher gedacht, bei denen das Vorstellungsvermögen für handwerkliche Tätigkeiten nicht so ausgeprägt ist. Für die Garküche gibt es kein Video, weil Tätigkeiten in der Küche wie Lebensmittel kleinschneiden oder im Kochtopf rühren jeder schon mal verrichtet oder zumindest dabei zugeschaut hat.

Informationstafeln

Text- und Bildtafeln in Deutsch mit englischen Zusammenfassungen tragen zum besseren Verständnis bei und liefern zusätzliche Informationen zu den jeweiligen Bereichen. Unter anderem zeigen sie auf, welche Zeugnisse aus der Vergangenheit – bildliche Darstellungen, Texte, archäologische Funde und Befunde – der Einrichtung der Garküche und der Werkstätten zugrunde liegen. Diese tragen dazu bei, dass die Nachbildungen der Wirklichkeit nahe kommen.
Bereicherung für die Museumspädagogik
Werkstätten und Küche werden in Zukunft in das museumspädagogische Programm der Saalburg einbezogen und an den Thementagen auch den Rahmen für Vorführungen bieten.

Knochenwerkstatt im Archäologischen Park Xanten

Knochenwerkstatt im Archäologischen Park Xanten

Knochenwerkstatt im Archäologischen Park Xanten

Von Mai bis September ist jedes Wochenende im APX ein Römisches Wochenende. Im südlichen Flügel der römischen Herberge liegen die Werkstätten der römischen Knochenschnitzer und Schuhmacher, in denen ausgebildete Fachkräfte die Kniffe ihres alten Handwerks vorführen. Wer besitzt heute schon eine „echte“ römische Haarnadel aus Bein oder eine selber angefertigte Ledersohle?

Hat so vielleicht eine römische Knochenwerkstatt ausgesehen? Unsere Experimente haben allerdings gezeigt, daß gerade Frauen für diese Tätigkeit bestens geeignet sind.

Von Handwerkern und Pferdefüssen

Sabine Deschler-Erb, Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel

Einige römische Produktionsbetriebe benötigten feste Installationen wie Öfen oder Wasserbecken und haben daher im Boden deutlich ihre Spuren hinterlassen, so z.B. Töpfereien, Schmieden oder Walkereien. In anderen Bereichen wie zum Beispiel der Knochenschnitzerei arbeitete man nur mit Geräten aus Holz und feinem Metall, welche schlechte bis keine Erhaltungschancen haben. Beobachtungen an den aufgefundenen Werkabfällen und Fertigprodukten aus Knochen liefern zwar gewisse Informationen, geben manchmal aber auch Rätsel auf. Hier können Experimente, wie die im folgenden vorgestellten, weiterhelfen. Diese zeigen also, wie erkenntnisreich die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis sein kann.

Es scheint kaum Gebrauchsgegenstände gegeben zu haben, welche römische Handwerker nicht aus Knochen herstellten. Das schier endlose Spektrum reicht von Löffeln, Spielsteinen, Haarnadeln und Döschen über Möbelteile bis hin zu militärischen Ausrüstungsgegenständen. Zu deren Herstellung verwendete man meistens Rinderknochen, die in den städtischen Metzgereien haufenweise als Abfälle anfielen, denn das Rind war die wichtigste Fleischquelle in römischer Zeit. Die regelmässige Versorgung mit diesem Rohmaterial stellte für die Handwerker somit kein Problem dar. Bei der osteologischen Bestimmung des Fundmaterials aus verschiedenen römischen Fundstellen wie Augusta Raurica/Kaiseraugst, Aventicum/Avenches oder Colonia Julia Equestris/Nyon hat sich nun aber gezeigt, dass man relativ häufig auch Pferdeknochen verarbeitete. Dies ist insofern erstaunlich, als dass Pferdefleisch in der römischen Kultur quasi einem Nahrungstabu unterlag und Pferdemetzgereien somit nicht existierten. Die unzerlegten Pferdekadaver wurden am Siedlungsrand oder auch in aufgelassenen Gruben und Brunnen innerhalb der Siedlungen entsorgt. Es war für die Handwerker also gar nicht so einfach, an Pferdeknochen heranzukommen. Wieso bemühte man sich also dermassen um dieses Rohmaterial? Spielten hier anatomische oder qualitative Unterschiede zwischen Rinder- und Pferdeknochen eine Rolle?

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Hier schien die Archäozoologie an ihre Grenzen zu stossen, weshalb wir den Kontakt zu einer Fachperson für Knochenverarbeitung suchten, um das Problem von der praktischen Seite her anzugehen. Wir fanden sie in Astrid Dingeldey, Absolventin der Fachschule für Elfenbeinschnitzer in Erbach/Odenwald mit abgeschlossener Meisterprüfung. Astrid Dingeldey hatte bereits grosse Erfahrung in der Herstellung „römischer“ Knochenobjekte, da sie für den archäologischen Park Xanten eine Beinschnitzerwerkstatt rekonstruiert hatte.
Für die Experimente arbeitete unsere Handwerkerin mit modernen Stahlwerkzeugen an einer „römischen“ Holzdrehbank. Als Rohmaterial standen ihr ein frisch ausgekochter Mittelfussknochen vom Pferd und ein Mittelhandknochen vom Rind zur Verfügung; diese Skeletteile gehören zu denjenigen, welche die römischen Handwerker am häufigsten verarbeiteten.
Zunächst ging die Handwerkerin unserer Frage in Bezug auf die anatomischen Unterschiede nach. Beim Rind weisen die Mittelfuss/-Handknochen in der Mitte eine Trennlinie auf, bei denjenigen des Pferdes fehlt diese. Wir vermuteten, dass dies ein Hindernis für die Werkzeuge sein könnte oder dass die Objekte an dieser Stelle auseinanderbrechen könnten. Aber die Fachfrau konnte dies widerlegen. Beim Sägen und Feilen liessen sich keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Der Pferdeknochen liess sich etwas leichter Bohren als der Rinderknochen, Astrid Dingeldey konnte sich aber nicht erklären, warum dies so war.

Astrid Dingeldey

Deutliche Unterschiede ergaben sich hingegen beim Drechseln: Der Pferdeknochen schien weniger stabil zu sein als derjenige vom Rind. Der erste Spielstein aus Pferdeknochen zerbrach während der Herstellung. Die Handwerkerin vermutete eine grössere Porosität des Pferdeknochens. Diese lässt sich tatsächlich aufgrund von Mikroskopuntersuchungen belegen. Die Experimente haben also gezeigt, dass sich Rinderknochen eher zur Artefaktherstellung eignen. Warum also haben die römischen Handwerker trotzdem Pferdeknochen bevorzugt?
Erst die simple Bemerkung von Astrid Dingeldey, dass der von ihr verarbeitete Pferdeknochen grösser war als der Rinderknochen, brachte uns eine neue Idee: Die Rinder nördlich der Alpen nahmen zwar bekanntlich im Verlaufe der römischen Besatzungszeit kontinuierlich an Grösse zu, überschritten aber nie die durchschnittliche Widerristhöhe von 1 m 30. Römische Pferde und Maultiere hatten hingegen eine durchschnittliche Höhe von mehr als 1 m 40, die grössten erreichten sogar 1 m 60. Die einzelnen Pferdeknochen waren also mehr als 5 cm länger als diejenigen vom Rind. Sie gaben also mehr Rohmaterial und vor allem längere Knochenstücke her, was besonders für die Herstellung langer Gebrauchsgegenstände wie Nadeln, Spindeln oder Spinnrocken von Vorteil war. Dies dürfte also der Grund dafür gewesen sein, wieso Pferdeknochen trotz aller Beschaffungsschwierigkeiten bei den römischen Handwerkern so begehrt waren.
Die Lösung dieser Frage war nur durch die enge Zusammenarbeit zweier Fachfrauen aus Praxis und Wissenschaft möglich. Auch wenn anfangs vielleicht Berührungsängste bestehen, ist dieser interdisziplinäre Ansatz gerade für die Erforschung der Handwerksgeschichte nur zu empfehlen. Unsere Experimente haben aber noch etwas anderes gezeigt: Frauen können Knochen sowohl mit modernen als auch mit römischen Drehbänken meisterlich verarbeiten. Dies führt zur Frage, wieso auf Rekonstruktionszeichnungen wie Abb.6 nur Handwerker und keine Handwerkerinnen dargestellt werden, obwohl keine der schriftlichen und archäologischen Quellen gegen die Tätigkeit von Frauen spricht. Es zeigt sich, dass wir noch viel über das römische Handwerk an sich und unsere Vorstellungen darüber zu lernen haben.

Weiterführende Literatur:
S. Deschler-Erb, Römische Beinartefakte aus Augusta Raurica. Rohmaterial, Technik, Typologie und Chronologie. Forschungen in Augst 27. Augst 1998.
M. Kokabi, B. Schlenker, J. Wahl, Knochenarbeit. Artefakte aus tierischen Rohstoffen im Wandel der Zeit. Ausstellungskatalog Stuttgart 1994.
J. Peters, Römische Tierhaltung und Tierzucht. Passauer Universitätsschriften zur Archäologie 5. Rahden/Westfalen 1998.