Wo sich Legionäre mit Knochenschnitzern treffen

Kämpfen wie einst die Gladiatoren oder aus Knochen Schälchen schnitzen? Das konnten Besucher bei den Römertagen in Aalen. 300 Freizeit-Römer entführten die Schaulustigen in alte Zeiten. Von Markus Lehmann

Kinder mit bunten Rucksäcken und Papp-Helmen sowie Papas, die mit der Digital-Kamera wilde Gladiatorenkämpfe festhalten: Es sind allein die Besucher, die daran erinnern, dass wir das Jahr 2012 und nicht 200 nach Christus schreiben. Bei den Römertagen im baden-württembergischen Aalen, wo einst etwa 1000 Reiter im größten römischen Reiterkastell nördlich der Alpen am Limes gegen die Germanen wachten, soll es möglichst authentisch zugehen.

Dafür sorgen 300 Akteure, die am Wochenende zwei Tage lang zum Legionär, Sandalenhändler, römische Tänzerin, Feldvermesser, Zenturio oder Schwertschmied werden.
Das gewundene Rohr „Cornu“ schickt Befehle über das „Schlachtfeld“. Und schon stürmen die Kämpfer mit gezücktem Schwert, in schwerer Rüstung und Schild aufeinander los. Sie exerzieren die „Schildkröte“, eine Formation, die „Asterix“-Leser bestens kennen. Später messen sich die Gladiatoren mit Spieß, Netz und Dreizack im Zweikampf. Auch römische Artillerie ist aufgefahren. Katapulte waren verheerende Waffen, das Torsionsgeschütz „Ballista“ verschießt mit 600 Pfund Zugkraft Pfeile.

Die Akteure nennen sich „Timetrotters“

„Timetrotters“ nennen sich die Akteure, die „LEG VIII“ ist aufmarschiert oder die „Familia Gladiatoria“ aus Ungarn. Am populärsten ist die „Familia Gladiatoria Pulli Cornicinis“, die Gladiatoren um den Historiker Marcus Junkelmann. Der Experte in experimenteller Archäologie will die Zeit der Römer möglichst authentisch ins 21. Jahrhundert übertragen. Nach Original-Vorlagen sind Waffen, Rüstung und Kleidung entstanden.
„In der Schule habe ich gelernt, dass heute alle Geräte und Gegenstände viel besser sind als zur Römerzeit, aber die Römer waren nicht blöd und auf einem erstaunlich hohen technischen Niveau“, sagt Titus Flavius Erinaceus. Der „blonde Igel“, so sein Name, ist eigentlich Werkzeugmacher – und Freizeit-Römer. Die Sandalen sind bequem, die Rüstung scheuert und drückt nicht. Was ihn fasziniert, ist, dass alles funktioniert. So wie das Wurfgeschütz. Das sei eben etwas anderes als ein Laser-Schwert aus Star-Wars.
Warum spielt man in der Freizeit den Römer? „Der eine ist dabei aus historischem Interesse, der andere wegen der coolen Klamotten“, erzählt Titus Muranius Rana. Im normalen Leben ist er Hausmann, heute für den Kampf gerüstet.

Alles soll möglichst authentisch sein

Eine Knochenschnitzerin fertigt Löffel, Döschen, Knöpfe, Würfel aus Rinderknochen und Horn, edle Römerinnen tanzen in langen Kleidern, Händler bieten Schmuck, Öllampen, Gürtel, Gewänder, Töpferwaren und jede Menge antiker Repliken an.
Möglichst authentisch soll auch das sein, was auf den Tellern im großen Römerlager serviert wird. Etwa der „Legionärsteller“ mit Weinfrikadellen, die „Caesar-Platte“ mit Hühnchen im Knusperteig, römisches Brot, „Fabata“ (Bohnenpaste) oder Süßes aus Graupen, Honig und Früchten.
In tönernen Bechern wird „Mulsum“ kredenzt, weißer Gewürzwein mit Honig, Koriander und Honig. Die Römer würzten am liebsten Wein aus Griechenland damit, dem sie lange gallischem Wein vorzogen, erklärt Jürgen Coupona am Stand für die Verpflegung des Militärs. Doch der griechische Wein, den er sonst zu „Mulsum“ macht, ist momentan schwer zu bekommen. Das liege wohl an der Griechenland-Krise, meint er. Da sind die Römer in Aalen wieder im Jahr 2012 angekommen.

Hat so vielleicht eine römische Knochenwerkstatt ausgesehen? Unsere Experimente haben allerdings gezeigt, daß gerade Frauen für diese Tätigkeit bestens geeignet sind.

Von Handwerkern und Pferdefüssen

Sabine Deschler-Erb, Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel

Einige römische Produktionsbetriebe benötigten feste Installationen wie Öfen oder Wasserbecken und haben daher im Boden deutlich ihre Spuren hinterlassen, so z.B. Töpfereien, Schmieden oder Walkereien. In anderen Bereichen wie zum Beispiel der Knochenschnitzerei arbeitete man nur mit Geräten aus Holz und feinem Metall, welche schlechte bis keine Erhaltungschancen haben. Beobachtungen an den aufgefundenen Werkabfällen und Fertigprodukten aus Knochen liefern zwar gewisse Informationen, geben manchmal aber auch Rätsel auf. Hier können Experimente, wie die im folgenden vorgestellten, weiterhelfen. Diese zeigen also, wie erkenntnisreich die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis sein kann.

Es scheint kaum Gebrauchsgegenstände gegeben zu haben, welche römische Handwerker nicht aus Knochen herstellten. Das schier endlose Spektrum reicht von Löffeln, Spielsteinen, Haarnadeln und Döschen über Möbelteile bis hin zu militärischen Ausrüstungsgegenständen. Zu deren Herstellung verwendete man meistens Rinderknochen, die in den städtischen Metzgereien haufenweise als Abfälle anfielen, denn das Rind war die wichtigste Fleischquelle in römischer Zeit. Die regelmässige Versorgung mit diesem Rohmaterial stellte für die Handwerker somit kein Problem dar. Bei der osteologischen Bestimmung des Fundmaterials aus verschiedenen römischen Fundstellen wie Augusta Raurica/Kaiseraugst, Aventicum/Avenches oder Colonia Julia Equestris/Nyon hat sich nun aber gezeigt, dass man relativ häufig auch Pferdeknochen verarbeitete. Dies ist insofern erstaunlich, als dass Pferdefleisch in der römischen Kultur quasi einem Nahrungstabu unterlag und Pferdemetzgereien somit nicht existierten. Die unzerlegten Pferdekadaver wurden am Siedlungsrand oder auch in aufgelassenen Gruben und Brunnen innerhalb der Siedlungen entsorgt. Es war für die Handwerker also gar nicht so einfach, an Pferdeknochen heranzukommen. Wieso bemühte man sich also dermassen um dieses Rohmaterial? Spielten hier anatomische oder qualitative Unterschiede zwischen Rinder- und Pferdeknochen eine Rolle?

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Hier schien die Archäozoologie an ihre Grenzen zu stossen, weshalb wir den Kontakt zu einer Fachperson für Knochenverarbeitung suchten, um das Problem von der praktischen Seite her anzugehen. Wir fanden sie in Astrid Dingeldey, Absolventin der Fachschule für Elfenbeinschnitzer in Erbach/Odenwald mit abgeschlossener Meisterprüfung. Astrid Dingeldey hatte bereits grosse Erfahrung in der Herstellung „römischer“ Knochenobjekte, da sie für den archäologischen Park Xanten eine Beinschnitzerwerkstatt rekonstruiert hatte.
Für die Experimente arbeitete unsere Handwerkerin mit modernen Stahlwerkzeugen an einer „römischen“ Holzdrehbank. Als Rohmaterial standen ihr ein frisch ausgekochter Mittelfussknochen vom Pferd und ein Mittelhandknochen vom Rind zur Verfügung; diese Skeletteile gehören zu denjenigen, welche die römischen Handwerker am häufigsten verarbeiteten.
Zunächst ging die Handwerkerin unserer Frage in Bezug auf die anatomischen Unterschiede nach. Beim Rind weisen die Mittelfuss/-Handknochen in der Mitte eine Trennlinie auf, bei denjenigen des Pferdes fehlt diese. Wir vermuteten, dass dies ein Hindernis für die Werkzeuge sein könnte oder dass die Objekte an dieser Stelle auseinanderbrechen könnten. Aber die Fachfrau konnte dies widerlegen. Beim Sägen und Feilen liessen sich keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Der Pferdeknochen liess sich etwas leichter Bohren als der Rinderknochen, Astrid Dingeldey konnte sich aber nicht erklären, warum dies so war.

Astrid Dingeldey

Deutliche Unterschiede ergaben sich hingegen beim Drechseln: Der Pferdeknochen schien weniger stabil zu sein als derjenige vom Rind. Der erste Spielstein aus Pferdeknochen zerbrach während der Herstellung. Die Handwerkerin vermutete eine grössere Porosität des Pferdeknochens. Diese lässt sich tatsächlich aufgrund von Mikroskopuntersuchungen belegen. Die Experimente haben also gezeigt, dass sich Rinderknochen eher zur Artefaktherstellung eignen. Warum also haben die römischen Handwerker trotzdem Pferdeknochen bevorzugt?
Erst die simple Bemerkung von Astrid Dingeldey, dass der von ihr verarbeitete Pferdeknochen grösser war als der Rinderknochen, brachte uns eine neue Idee: Die Rinder nördlich der Alpen nahmen zwar bekanntlich im Verlaufe der römischen Besatzungszeit kontinuierlich an Grösse zu, überschritten aber nie die durchschnittliche Widerristhöhe von 1 m 30. Römische Pferde und Maultiere hatten hingegen eine durchschnittliche Höhe von mehr als 1 m 40, die grössten erreichten sogar 1 m 60. Die einzelnen Pferdeknochen waren also mehr als 5 cm länger als diejenigen vom Rind. Sie gaben also mehr Rohmaterial und vor allem längere Knochenstücke her, was besonders für die Herstellung langer Gebrauchsgegenstände wie Nadeln, Spindeln oder Spinnrocken von Vorteil war. Dies dürfte also der Grund dafür gewesen sein, wieso Pferdeknochen trotz aller Beschaffungsschwierigkeiten bei den römischen Handwerkern so begehrt waren.
Die Lösung dieser Frage war nur durch die enge Zusammenarbeit zweier Fachfrauen aus Praxis und Wissenschaft möglich. Auch wenn anfangs vielleicht Berührungsängste bestehen, ist dieser interdisziplinäre Ansatz gerade für die Erforschung der Handwerksgeschichte nur zu empfehlen. Unsere Experimente haben aber noch etwas anderes gezeigt: Frauen können Knochen sowohl mit modernen als auch mit römischen Drehbänken meisterlich verarbeiten. Dies führt zur Frage, wieso auf Rekonstruktionszeichnungen wie Abb.6 nur Handwerker und keine Handwerkerinnen dargestellt werden, obwohl keine der schriftlichen und archäologischen Quellen gegen die Tätigkeit von Frauen spricht. Es zeigt sich, dass wir noch viel über das römische Handwerk an sich und unsere Vorstellungen darüber zu lernen haben.

Weiterführende Literatur:
S. Deschler-Erb, Römische Beinartefakte aus Augusta Raurica. Rohmaterial, Technik, Typologie und Chronologie. Forschungen in Augst 27. Augst 1998.
M. Kokabi, B. Schlenker, J. Wahl, Knochenarbeit. Artefakte aus tierischen Rohstoffen im Wandel der Zeit. Ausstellungskatalog Stuttgart 1994.
J. Peters, Römische Tierhaltung und Tierzucht. Passauer Universitätsschriften zur Archäologie 5. Rahden/Westfalen 1998.